Single-Step: Das Genomik-Upgrade

Single-Step: Das Genomik-Upgrade

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Dr. Hermann Schwarzenbacher, Dr. Christian Fürst, Dipl.-Ing. Judith Himmelbauer, ZuchtData
Wien für das ZWS-Team DE-AT-CZ


Der April 2021 markiert für die gemeinsame Zuchtwertschätzung (ZWS) in Österreich, Deutschland und Tschechien ein historisches Datum. Zehn Jahre nach deren Einführung heben wir die Genomische Selektion beim Fleckvieh und Brown Swiss mit der Einführung der Single-Step Methodik, auf eine neue Stufe. Mit diesem Artikel wollen wir Sie mit dem neuen Verfahren vertraut machen und einen Überblick über die daraus ableitbaren Änderungen in den Zuchtwerten geben.


Als wir im Jahr 2011 die genomische ZWS eingeführt haben, war die Typisierung mit € 200 vergleichsweise teuer. Daher hat man sich beim Aufbau der Genomik-Lernstichprobe auf die informativsten Tiere, die geprüften Altstiere, konzentriert. Aus der Lernstichprobe wird über die Beziehung zwischen Leistung und Genotyp jene Information abgeleitet, aus der Genomzuchtwerte für Jungtiere geschätzt werden können. Als Leistungsdaten für Altstiere wurden umweltkorrigierte, durchschnittliche Leistungen von Töchtern bzw. bei Fleischleistungsmerkmalen von Söhnen, herangezogen. Diese kommen aus einer vorgelagerten konventionellen ZWS, was erklärt, warum dieses Schätzsystem auch als Two-Step („Zwei-Schritt“) Methodik bezeichnet wird. Im Single-Step („Ein-Schritt“) kommt es nun zur Verschmelzung der konventionellen mit der genomischen Schätzung in einem Verfahren.
Dies wird über die gemeinsame Betrachtung der Verwandtschaftsbeziehungen für alle Tiere bewerkstelligt, wobei Verwandtschaften für typisierte Tiere (beim Fleckvieh aktuell 335.000 Tiere) aus Markerinformationen gerechnet werden, während Verwandtschaften zwischen untypisierten Tieren (beim Fleckvieh bis zu 32
Mio. Tiere) weiterhin vorwiegend aus der Abstammungsinformation abgeleitet werden. Spannend sind Verwandtschaften zwischen diesen beiden Tiergruppen, da es hier zur Kombination der Verwandtschaft aus Marker- und Abstammungsinformation kommt. Dies ermöglicht einen Informationsrückfluss von typisierten Nachkommen auf untypisierte Vorfahren, wodurch auch untypisierte Tiere vom Informationszuwachs profitieren (z.B.: teils deutliche Anstiege der Zuchtwertsicherheiten von untypisierten Müttern mit mehreren typisierten Kälbern).
Der entscheidende Faktor der Überlegenheit vom Single-Step Verfahren ist jedoch die Tatsache, dass hier nicht mehr nur geprüfte Altstiere, sondern alle typisierten Tiere mit Leistung unmittelbar in die Lernstichprobe einbezogen werden. Je nach Merkmal sind dies zwischen 286.000 (beim Vitalitätswert) und 36.000 Tiere (beim Zysten). Insgesamt sind die Datenmengen, die einbezogen werden, überaus beeindruckend. Aktuell sind dies mehr als 13.500.000.000 (13,5 Mrd.) Marker-Genotypen bei Fleckvieh und über 2.800.000.000 (2,8 Mrd.) bei Brown Swiss mit jeweils stark wachsender Tendenz.


Worin bestehen die Stärken des neuen Zuchtwertschätzverfahrens?

>Das neue Verfahren erzielt für alle typisierten Tiere höhere ZW-Sicherheiten, da nun wesentlich mehr Information für die Vorhersage genutzt wird. Besonders profitieren natürlich Stiere mit ersten Töchterleistungen, aktuell aus den Geburtsjahrgängen 2015 und 2016. Bei diesen Tieren kommt nun die Genotypen-Information von teilweise hunderten Töchtern mit Eigenleistung hinzu. Dies ermöglicht genauere
Genomzuchtwerte, aber auch eine feinere „Auflösung“ hinsichtlich der züchterischen Wertigkeit von Erbgutabschnitten („Haplotypen“), die diese Stiere tragen. Nachkommen dieser Stiere, aber auch alle anderen typisierten Tiere, die diese Haplotypen ebenfalls aufweisen, profitieren somit ebenfalls von der Information aus typisierten Töchtern. Das hat zur Folge, dass der Informationszuwachs nicht auf einer Stierfamilie isoliert bleibt, sondern Auswirkungen auf nahezu die gesamte typisierte Population hat. Das macht es freilich im Einzelfall schwierig, den Ursprung von Zuchtwertänderungen nachzuvollziehen.

>Für direkte Gesundheitsmerkmale (frühe Fruchtbarkeitsstörungen, Zysten und Mastitis) gab es bisher noch keine Genomzuchtwerte, da noch zu wenige Altstiere ausreichende Töchterinformation aufwiesen. Die direkte Berücksichtigung von typisierten Kühen auf Betrieben mit valider Gesundheitsdatenbeobachtung in der Lernstichprobe macht es nun möglich Single-Step-ZW für diese Merkmale anzubieten.

>Single-Step stellt für „neue Merkmale“, bei denen Leistungsdaten aus nur wenigen Jahrgängen vorliegen, generell die Methode der Wahl zur genomischen ZWS dar. Dies wird noch heuer das Merkmal Melkverhalten und in den nächsten Jahren die Klauengesundheit und den Bereich Stoffwechsel betreffen. Umstellungen in der ZWS – immer eine bittere Pille für Züchter Die Einführung von Single-Step stellt eine der massivsten Umstellungen in der Zuchtwertschätzung der letzten Jahrzehnte dar. Zuchtwertänderungen betreffen verstärkt
junge Jahrgänge und können durchaus 10 Zuchtwertpunkte und mehr betragen. Da praktisch
jedes Merkmal, mit Ausnahme von Persistenz und Leistungssteigerung, von der Umstellung betroffen ist, sind die Auswirkungen auf den Gesamtzuchtwert ganz erheblich. Das Merkmal Leistungssteigerung wird voraussichtlich im August auf die neue Methodik umgestellt, Persistenz nicht vor Dezember 2021. Die teils großen ZW-Änderungen sind so zu erklären:

  • Massiver Datenzuwachs durch die Hinzunahme von bis zu 286.000 Genotypen mit Eigenleistung in die Lernstichprobe
  • Vielzahl von Anpassungen in der Schätzmethodik durch Single-Step
  • Erstmals genomische ZWS für direkte Gesundheitsmerkmale
  • Viele, teils massive Umstellungen in den konventionellen Schätzmodellen, insbesondere bei der Nutzungsdauer und bei der Fleisch-ZWS

Ein großer Schritt vorwärts in der Zucht

Die Einführung von Single-Step ist der vorläufige Abschluss eines umfangreichen Prozesses zur Verbesserung der Genomischen Selektion. Dieser Prozess hat in Österreich mit dem Herdentypisierungsprojekt FoKUHs begonnen, in Bayern und Baden-Württemberg sind die Projekte Braunvieh-Vision, FLEQS und Fleckficcient zu nennen. Durch die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand, aber auch die Initiative der Züchter, sind in den letzten Jahren gewaltige Zahlen von weiblichen Tieren typisiert worden. Aktuell wird in Österreich bei Fleckvieh etwa jede 10. bzw. bei Brown Swiss jede 16. Kalbin bzw. Erstkalbskuh in der Herdebuchzucht genotypisiert. Mit Single-Step haben wir uns jetzt daran gemacht die Ernte einzufahren. Unser Ziel ist es die genomische Selektion zum züchterischen Standardwerkzeug auf den Betrieben zu machen. Sie sollen damit noch besser als bisher in die Lage versetzt werden leistungsstarke und robuste Kühe zu züchten.

Wir bedanken uns herzlich beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus für die Unterstützung des Projekts FoKUHs über das


Änderungen abseits von Single-Step

Dr. Christian Fürst, Dr. Hermann Schwarzenbacher und Dipl.-Ing. Judith Himmelbauer,
ZuchtData Wien für das ZWS-Team DE-AT-CZ

Die Umstellung auf das Single-Step-Verfahren ist ein
Meilenstein in der Zuchtwertschätzung (ZWS), aber nicht die einzige wichtige Änderung bei
der ZWS im April. Ein völlig neues ZWS-Verfahren bei der Nutzungsdauer, die Umstellung
auf eine Kuhbasis und weitere Anpassungen wirken sich merklich auf die Zuchtwerte aus.
Folgende Änderungen gibt es zusätzlich zu Single-Step:

  • Methodische Erweiterung bei der Milch-ZWS, die zur Folge hat, dass das Merkmal
    Persistenz neu entwickelt werden muss und daher nicht vor Dezember auf Single-Step
    umgestellt werden kann und damit vorerst mit der Two-Step-Methode geschätzt wird.
    Ähnliches gilt für die Leistungssteigerung, die voraussichtlich im August auf Single-
    Step umgestellt werden wird.
  • Bei der Milch-Sicherheit wird ab sofort die Sicherheit des Milchwerts (MW)
    veröffentlicht und nicht wie bisher die Sicherheit für die Fettmenge. Das hat zusätzlich
    zur Auswirkung von Single-Step generell höhere Sicherheiten bei der Milch zur Folge.
  • Bei der Fleisch-ZWS mussten die Merkmale von 10 auf 5 reduziert werden. Es geht
    dabei um überwiegend ältere Stationsdaten, die weggelassen wurden und ohnehin wenig
    Information für die aktuelle Population liefern. Die wichtigen Schlachtdaten der
    Jungstiere und die Kördaten aus Deutschland bilden jetzt die Grundlage der ZWS.
    Außerdem werden Fleckvieh und Brown Swiss jetzt jeweils separat und nicht mehr
    gemeinsam mit anderen Rassen geschätzt.
  • Bei den ZWS für Fruchtbarkeit und Kalbeverlauf werden nur mehr Daten ab dem Jahr
    2000 (statt 1990) verwendet.
  • Die sogenannte Basis der Zuchtwerte wurde von einer Stierbasis auf eine Kuhbasis
    umgestellt. Die Basis stellt in der ZWS den Bezugspunkt für die geschätzten Zuchtwerte
    dar. Das bedeutet, dass diese Tiergruppe im Durchschnitt bei allen Relativzuchtwerten
    (GZW, MW, usw.) auf 100 bzw. bei den Milchmerkmalen auf 0 gesetzt werden. Diese
    Bezugsbasis wird bei jeder ZWS aktualisiert, d.h. um ca. 4 Monate nachgerückt
    (gleitende Basis). Bei Fleckvieh und Brown Swiss waren das bisher die 8-10 Jahre alten
    Stiere, neu sind es die 4-6 Jahre alten Kühe beim Fleckvieh und die 6-8 Jahre alten Kühe
    bei Brown Swiss. Die Umstellung auf die Kuhbasis hat zur Folge, dass beim Fleckvieh
    GZW und MW um ca. 2 bzw. 3 Punkte und der Milch-ZW um ca. 100 kg gestiegen
    sind. Bei Brown Swiss sind es jeweils ca. 1,5 GZW- und MW-Punkte und 60 kg Milch.
    In Zukunft wird es bedeuten, dass die Abschreibung der Zuchtwerte von einer
    Schätzung zur nächsten etwas geringer ausfallen wird als bisher.
  • Bei der Rasse Brown Swiss wurde außerdem die Streuung des Gesamtzuchtwerts GZW
    von 12 auf 15 erhöht. Das heißt, aus einem GZW von bisher 112 wird 115 bzw. aus 88
    wird 85 oder aus 130 wird 138. Durch diese Erhöhung der Streuung um 25% steigen
    die GZW im Spitzenbereich merklich. Außerdem steigt der rein rechnerische Trend für
    den GZW dadurch deutlich, allerdings natürlich nicht die tatsächliche genetische
    Entwicklung der zugrundeliegenden Merkmale. Zusätzlich steigt durch diese
    Maßnahme die Abschreibung des GZW bei Brown Swiss.
  • Die größte Umstellung zusätzlich zu Single-Step ist das völlig neue ZWS-Verfahren bei
    der Nutzungsdauer, das in Folge etwas genauer vorgestellt wird.

Ein Upgrade für die Nutzungsdauer

Die Nutzungsdauer zählt mit Sicherheit zu den wichtigsten Merkmalen in der Rinderzucht. Für die Nutzungsdauer werden in Österreich als weltweit erstes Land bereits seit 1995 Zuchtwerte geschätzt. Die bisherige ZWS Nutzungsdauer erfolgte mit einer sogenannten Lebensdaueranalyse (Survival Analyse) und hat zu sehr guten Ergebnissen geführt. Es ist gelungen, den genetischen Trend für die Nutzungsdauer wieder in die positive Richtung zu drehen. Auch die tatsächliche Nutzungsdauer ist in den letzten 20 Jahren in Österreich wieder leicht angestiegen. Ein Nachteil der bisherigen ZWS war, dass es sich dabei um kein Tiermodell gehandelt hat und dadurch die Kuh-Zuchtwerte näherungsweise berechnet werden mussten. Problematisch war auch, dass die gesamte Nutzungsdauer nur einem (dem letzten) Betrieb zugeordnet werden musste und so Betriebswechsel nicht sauber abgebildet werden konnten. Letztlich entscheidender Grund für die Umstellung war aber, dass es nicht möglich gewesen wäre auf dem bisherigen Modell eine Single-Step-ZWS aufzubauen.

Nutzungsdauer in Abschnitten

Es war daher in den letzten Monaten notwendig eine komplett neue ZWS zu entwickeln. Das neue ZWS-Verfahren basiert wie bei allen anderen Merkmalen jetzt auch auf einem BLUPTiermodell. Dadurch ist es möglich für alle Tiere Single-Step-Zuchtwerte zu schätzen. Im neuen Modell wird die Nutzungsdauer einer Kuh bis zur 7. Abkalbung in insgesamt 9 Abschnitte unterteilt. Dabei wird die 1. Laktation in drei (bis 50., 51.-250. und 251. Laktationstag bis 2. Abkalbung), die 2. Laktation in zwei (bis 150. und 151. Tag bis 3. Abkalbung) und die 3. bis 6. Laktation jeweils als ein Abschnitt betrachtet. In jedem Abschnitt wird unterschieden, ob die Kuh den Abschnitt überlebt hat oder nicht. In der neuen ZWS werden die weitgehend gleichen Umwelteinflussfaktoren wie bisher berücksichtigt, dies sind vor allem der Betrieb, die Alpung, das Erstkalbealter, die Änderung der Herdengröße und die relative Leistung innerhalb der Herde. Die Erblichkeiten liegen bei ca. 11% beim Fleckvieh und 13% bei Brown Swiss.

Höhere Sicherheit mit Exterieur

Zur Erhöhung der Sicherheit des Nutzungsdauer-Zuchtwerts wird der reine Nutzungsdauer-ZW mit Exterieur-Merkmalen, die einen genetischen Zusammenhang zur Nutzungsdauer aufweisen, kombiniert. Die wichtigsten Merkmale sind dabei die Euter- und Fundament- Zuchtwerte (genetische Korrelationen +0,40 bzw. +0,30 beim Fleckvieh und +0,28 bzw. +0,25 bei Brown Swiss). Bei Brown Swiss wird auch die Becken-Gesamtnote (+0,20) und die Bemuskelung (+0,24) verwendet. Weiters wird berücksichtigt, dass ein leicht negativer genetischer Zusammenhang zwischen Rahmen und Nutzungsdauer besteht, das heißt, dass mittelrahmige Kühe tendenziell länger leben als zu große und schwere Tiere. Beim Fleckvieh dient daher der Rahmen (-0,09), beim Brown Swiss die Kreuzhöhe (-0,11) als Hilfsmerkmal. Dieser mit den Exterieur-Merkmalen kombinierte Nutzungsdauer-Zuchtwert geht wie bisher in den GZW ein und stellt nun auch den offiziellen Nutzungsdauer-Zuchtwert dar, auf die Kombination mit weiteren Fitnessmerkmalen wird verzichtet. Der bereits bisher festgestellte positive genetische Trend wird durch das neue ZWS-Verfahren bestätigt bzw. ist der Trend sogar noch geringfügig positiver als bisher. Sehr wichtig ist auch, dass die neuen Nutzungsdauer-Zuchtwerte eine höhere Stabilität bei Datenzuwachs aufweisen als mit dem alten Modell.

Deutlicher Anstieg im Spitzenbereich

Durch die zahlreichen Anpassungen bei dieser ZWS hat sich das Zuchtwertniveau vor allem im Spitzenbereich in verschiedenen Tiergruppen merklich geändert. Bei beiden Rassen sind die Anzahlen im Spitzenbereich durch den höheren genetischen Trend und die Umstellung auf die Kuhbasis gestiegen. Bei Brown Swiss wirkt sich vor allem die Erhöhung der GZW-Streuung sehr deutlich aus, sodass man sich hier an ein gänzlich neues Niveau gewöhnen muss. Die Umstellung auf Single-Step und die zahlreichen weiteren hier auszugsweise dargestellten Änderungen in der ZWS führen in vielen Fällen zu deutlichen Zuchtwert-Änderungen, die sicherlich eine Zumutung für die Züchter und Zuchtverantwortlichen darstellen. Wir sind allerdings davon überzeugt, dass es sich dabei um wesentliche Verbesserungen in der Aussagekraft der Zuchtwerte handelt. Die Entwicklung in der ZWS ist niemals abgeschlossen – das Bessere ist der Feind des Guten!